Page 1 - Willy Blaser - Mabuhay
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Laos / Vietnam (RB16 / 27.12.2001)


Das Rätsel der Ebene der Tonkrüge


Vientiane: Mein Fahrer erscheint pünktlich zur abgemachten Zeit vor dem Hoteleingang. Es ist
noch dunkel. Die Strassen sind menschenleer. Drei streunende Hunde balgen sich mitten auf
der Strasse. Es wäre gar nicht so einfach gewesen, um diese Zeit ein Taxi oder ein Motorrad
aufzutreiben, das mich zum Flughafen fährt. Dies ist offensichtlich auch meinem Fahrer
bewusst, der mir einen entsprechend hohen Preis abverlangt. Es ist kühl. Ohne Jacke würde
ich frieren. Als wir den Flughafen erreichen, dämmert es. Die Schalter sind noch geschlossen.
Auf die Frage wohin ich will, kann ich gar nicht antworten! Ich weiss nur, dass es Richtung

Norden zur Ebene der Tonkrüge gehen soll. Auf dem Flugbillet ist als Destination zwar Xien
Khouang angegeben, doch auch nach intensivem Suchen konnte ich diesen Ort auf der
Landkarte nirgends ausfindig machen. Allmählich füllt sich die kleine Abflughalle. Ich bin der
einzige Ausländer. Zwei einheimische Geschäftsfrauen klären mich auf, dass der Flug nach
Phonsavan geht. Der Flughafen soll sich einige Kilometer ausserhalb der Stadt befinden und
nach dem Namen der Provinz Xien Khouang benannt sein. Als der Flug aufgerufen wird,

kommt Bewegung in die Menge. Die Leute drängen zum Ausgang als ob es nicht genügend
Sitzplätze für alle hätte. Auch eine Gruppe französischer Touristen ist eingetroffen. Zusammen
mit gackernden Hühnern, die im Handgepäck mitgeführt werden, besteige ich das Flugzeug
der Lao Aviation. Es ist eine ATR 72, ein mittelgrosses Propellerflugzeug. Zwei Reihen vor mir
sitzt ein älterer Ausländer mit seiner jungen laotischen Frau oder Freundin. Nervös rutscht sie
auf ihrem Platz hin und her. Ihr Blick ist ängstlich. Sie scheint das erste Mal zu fliegen.
Liebevoll halten sich die beiden die Händchen. Hinter mir schreit ein kleines Kind. Mit einer
Viertelstunde Verspätung heben wir ab. Nach zwanzig Minuten überfliegen wir endlose,
dichte Bergwälder. Mit rund 19 Einwohner pro km2 weist Laos mit Abstand die dünnste

Bevölkerungsdichte aller Südostasiatischen Staaten auf. Je weiter wir nach Norden fliegen,
umso höher werden die Bergkämme. Die Täler liegen unter der Wolkendecke. Die bergige
Landschaft ist wunderschön. Von weitem kann man ein riesiges von Bergen umringtes
Wolkenmeer erkennen: die Ebene der Tonkrüge. Am Südrand des auf 1200 m ü.M. gelegenen
Plateaus überragt ein Gebirgszug alle anderen. Das wird der Phu Bia sein, mit seinen 2850
Metern der höchste Berg von Laos. Der Kapitän kündigt die Landung an. Langsam verlieren wir

an Höhe und nähern uns der Wolkendecke. Gemäss meinem Reisebuch soll die Ebene der
Tonkrüge aus der Vogelperspektive durch die tausenden im Vietnamkrieg entstandenen
Bombentrichter wie eine Mondlandschaft aussehen. Da der Ho Chi Minh-Pfad durch dieses
Gebiet führte, wurden hier insgesamt mehr Bomben abgeworfen, als während des ganzen
zweiten Weltkrieges auf Europa! Wegen der Wolkendecke kann ich davon nichts erkennen.
Als wir in das weisse Meer eintauchen, wird es mir für eine kurze Zeit Bange. Wie hoch wir
wohl noch fliegen? Funktioniert der Höhenmesser auch richtig? Nach 30 Sekunden sind wir
durch. Aufatmen. Wir sind noch immer etwa 300 Meter über dem Boden. Die Landung auf der



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