Page 8 - Willy Blaser - Mabuhay
P. 8


ich mir keine, denn ich bin ganz bestimmt nicht der einzige, der nach Darjeeling will. Dank
seinem berühmten Tee ist der Name vielen Menschen geläufig, doch nur die wenigsten
wissen, wo sich dieser Ort befindet. Irgendwo in Indien. Schon auf dem Weg aus dem Bahnhof
erhalte ich die ersten Angebote, für 1000 Rupien nach Darjeeling gefahren zu werden. Ich
warte keine zehn Minuten und schon kann ich mit einem Sammeltaxi für 70 Rupien fahren.

Die Strasse führt zunächst nach Siliguri. Von hier folgen wir der 80 Km langen
Schmalspurbahn, die 1880 gebaut wurde. Nach einer halben Stunde beginnt die Strasse
kontinuierlich anzusteigen. Es wird immer kurviger. Wieviele Kurven sind es wohl bis
Darjeeling"? Ich fange an sie zu zählen. Bei der 200. gebe ich auf, denn bis Darjeeling sind es
noch 39 Kilometer. Wir passieren Kurseong, bekannt für seine Teeplantagen. In Ghoom
erreichen wir den höchsten Punkt, 2483 Meter. Nach 4 ½ Stunden sind wir endlich
angekommen. Die Lage der Stadt (60'000 Einwohner) auf einem 2100 Meter hohen

Bergrücken gelegen, ist einmalig. Unter den Briten war es eine beliebte "Sommerstation".
Aber auch die wohlhabenden Inder flüchten anfangs April, wenn sich die Hitze in der Ganges-
Ebene aufbaut, in die Hill-Station im Himalaja. Die Engländer sind weg, geblieben sind Kirchen
und ein Golfplatz. Hinzugekommen sind tibetische Klöster. Die von den Engländern ins Land
geholten Arbeitskräfte aus dem benachbarten Nepal bestimmen das Bild der Bevölkerung. Es
gibt auch viele tibetanische Flüchtlinge. Ursprünglich war die Bergregion bis hinab in die Ebene
Teil des Königreiches von Sikkim und Bhutan. Als die Briten nach den Gurkha-Kriegen mit
Nepal 1828 die strategische Lage des Ortes erkannten, bedurfte es nur geringer

Anstrengungen den König zum Abdanken zu bewegen. Geschickt nutzten die Engländer 1849
die Gefangenschaft zweier Landsleute um die tiefer liegenden Regionen zu annektieren und
damit direkten Zugang nach West-Bengalen zu gewinnen. Ein kurzes Scharmützel mit dem
König von Bhutan brachte ihnen 1864 Kalipong und 1907 verleibten sie als letztes Glied Siliguri
in ihrem Kolonialreich ein. Die Atmosphäre in Darjeeling gefällt mir ausserordentlich. Man
wird nicht belästigt so wie in Delhi. Unten beim Bahnhof drängen sich die Geschäftsviertel,

oben thronen die Villen der ehemaligen Kolonialherren. Ein unübersehbares Netz von Gassen
und Treppen überzieht den steilen Westhang. Es gibt viele tibetische Restaurants, auch
Internetanschlüsse gibt es fast an jeder Ecke. Auffallend die vielen Studenten. Wer es vermag,
lässt seine Kinder in einem der zahlreichen College studieren. Besonders farbig ist das
Strassenleben am Morgen, wenn Hunderte von jungen Leuten in ihren dunkelgrünen,
weinroten, maronibraunen oder tiefblauen Uniformen zur Schule gehen. Die grösste
Attraktion Darjeelings ist das Panorama der zum Greifen nahen Bergriesen des
Kangchenjunga-Massivs. Dies ist ja auch der Grund, weshalb ich hier bin. Das beliebteste
Ausflugsziel ist der 2590 m hohe Tiger Hill. Die Sonnenaufgänge sollen grandios sein. Bei

klarem Wetter soll man sogar den Mt. Everest sehen. Von den Bergen ist jedoch nichts zu
sehen. Grosse Wolkengebilde hüllen die umliegenden Täler ein. Das Wetter verschlechtert
sich sogar zusehends. Darjeeling verschwindet im Hochnebel. Zeitweise kann man kaum
Hundert Meter weit sehen. Das wäre wirklich Pech, wenn das Wetter so bliebe.




   3   4   5   6   7   8   9   10   11   12