Page 8 - Willy Blaser - Mabuhay
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verbrachte sie in Darjeeling, später unterrichtete sie an der St. Mary‘s Schule in Kalkutta. 1939
wird sie deren Leiterin. Mitte der Vierzigerjahre bat sie darum die Ordenstracht ablegen zu
dürfen um sich künftig den Ärmsten und Sterbenden zu widmen. Sie gründete den Orden
"Missionaries of Charity - Missionarinnen der Nächstenliebe". Als Mutter Teresa wurde sie
weltweit bekannt. Nebst unzähligen internationalen Ehrungen wurde ihr 1979 den

Friedensnobelpreis zugesprochen. Am 5. September 1997 verstarb sie. Noch heute gilt sie
nebst Mahatma Ghandi als die beliebteste Persönlichkeit Indiens.


Ihr erstes Haus, Nirmal Hriday, das Haus der Sterbenden, wurde 1952 gegründet. Es ist offen
für jedermann und hat signifikanterweise keine Türen. Ein anderes Haus, Shishu Bhavan,
wurde 1957 für verstossene und in den Müll geworfene Neugeborene geöffnet. Später kam
das Haus für die Leprakranken dazu, welches den Orden weltbekannt machte.

Inzwischen betreut die Mission mehr als 285 Häuser und karitative Stiftungen in Indien und
Übersee. Mit ihrem Orden erregte Mutter Teresa Anstoss und Ärgernis, dies vor allem bei den

elitären Schichten. Ihre universale und kastensprengende Sicht von Humanität waren auf dem
indischen Kontinent revolutionär. Sie tat etwas was man nicht tut. Mutter Teresa scheute
selber die Körperlichkeit nicht. Sie berührte, fasste an und wusch die Krankenden und
Sterbenden. Gerade die Aussätzigen fanden bei ihr Heimat, wenn auch unter armseligen
Bedingungen. Diese hautnahe Humanität hatte ich auch schon im Senegal (Westafrika) erlebt,
als ich dort in einer katholischen Mission zu Besuch war. Auch dort sorgten sich die
Schwestern mit viel Nächstenliebe um die Armen und Kranken, doch es war nicht ohne
Hintergedanken. Ihr Wirken hatte seinen Preis, nämlich dass sich Leute vom Islam zum

Christentum bekehren mussten. Das ist im Orden von Mutter Teresa nicht so. Es werden alle,
ungeachtet ihrer Religion aufgenommen. Bei aller Bewunderung für den Dienst an den Armen
fehlt es aber auch nicht an Kritik. Ganz im Einklang mit dem Papst lehnte sie jegliche
Geburtskontrolle oder Abtreibung strikte ab. Mit ihrer aufopferungsvollen Arbeit kurierte
Mutter Teresa nur die Symptome, statt auch die Ursachen zu bekämpfen. Bei meinem dritten
Besuch in Kalkutta war es nun fast eine Pflicht endlich dem "Haus der Sterbenden" in Kaligath

(neben dem Kali-Tempel) einen Besuch abzustatten. Die Nonnen der Mission sind leicht an
ihren einfachen, blaugesäumten weissen Sahris zu erkennen. Die Aufsichtsnonne führt mich in
die zwei grossen nach Geschlechtern getrennte Säle. Die Luft ist trotz den riesigen
Ventilatoren stockend heiss. In beiden Sälen liegen Hunderte, teils schwerkranke, teils
sterbende Menschen auf einfachen Betten. Ärzte versorgen die schlimmsten Fälle. Spritzen,
leere Ampullen und vereiterte Verbände liegen in einer Ecke herum. Kein schöner Anblick. Tief
beeindrucken mich die Voluntäre, junge Männer und Frauen aus aller Welt. Wie sich diese den
Sterbenden annehmen, diese streicheln, massieren, waschen und sie in den Tod begleiten ist
schon etwas, dass man nicht so schnell vergessen kann.







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